Seit ein paar Wochen gibt es im Internet einen neuen Kampf in der Corona-Pandemie – einen „Geschlechterkampf“ zwischen weiblichen und männlichen Regierenden. Anlass dazu gibt eine Studie von CNN und dem US Magazin „Forbes“1, welche das Krisenmanagement weltweit beobachtete und zu einem interessanten Schluss kommt: „Frauen regieren besser!“, „Frauen sind bessere Krisenmanager!“ heißt es also.
Ich habe mir die Studie und die damit verbundene Berichterstattung mal genauer angeschaut und im Zusammenhang dazu einen Exkurs in weibliche und männliche Geschlechterrollen gewagt.
Die Studie
193 Länder wurden 2019 von (nur) 23 Frauen regiert. 10 davon regieren immerhin heute noch in Europa.
Die Forbes-Studie spricht im Rahmen des Krisenmanagements der Coronakrise 2020 von sieben positiven Beispielen weiblicher Führungspositionen:
1. Taiwan: In Taiwan hat die Präsidentin Tsai Ing-Wen durch frühe und effiziente Maßnahmen das Land sicher durch die Krise geleitet. Es gab keinen Shutdown und sie bekam auch keine Hilfe der WHO. Sie setzte auf frühzeitige Kontrollen aller Ein- und Ausreisenden und kurbelte die Produktion der Schutzausrüstungen an. Trotz Nähe zu China konnte relativ schnell wieder zur Normalität übergegangen werden. Die Präsidentin engagiert sich weiterhin für das globale Wohlergehen, in dem sie weltweit über 10 Mio. Masken spendet.
Infizierte: 440
Todeszahl: 7
Einwohnerzahl: ca. 23 Mio.
2. Neuseeland: Die Premierministerin Jacinda Ardern verzichtet seit März aus Solidaritätsgründen auf 20% ihres Gehaltes und konnte durch ihre frühen Reaktionen in Form flächendeckender Tests und verschärften Kontrollen der Ein- und Ausreisenden, eine große Pandemie abwenden.
Infizierte: 1.503
Todeszahl: 21
Einwohnerzahl: ca. 4,6 Mio.
3. Finnland: Die Premierministerin Sanna Marin fällt sehr besonders auf, da sie sich politisch unkonventionellen Mitteln bedient, so arbeitet sie z.B. eng mit Influencern zusammen, so dass sich Informationen dadurch unglaublich schnell über die sozialen Medien verbreiten lassen. Sie handelte mit einem direkten Einreise- und Ausreiseverbot und konnte so die Zahl der Infizierten sehr gering halten.
Infizierte: 6.493
Todeszahl: 306
Einwohnerzahl: ca. 5,6 Mio.
4. Island: Premierministerin Katrin Jakobsdottir veranlasste nach Bekanntwerden von einzelnen Erkrankten schnellstmöglich flächendeckende Tests – auch für Symptomlose. Damit gehört Island zu den Ländern mit den meist durchgeführten Tests. Es wurde kein Lockdown durchgeführt, dafür setzte Island auf freiwilliges Handytracking.
Infizierte: 1.803
Todeszahl: 10
Einwohnerzahl: ca. 341.000
5. Dänemark: Die Ministerpräsidentin Mette Frederiksen nahm die Sorgen der Bürger sehr ernst und veranstaltete sogar eine Pressekonferenz nur für Kinder, in der sie ihnen alles Wichtige zum Virus erklärte und auf ihre Fragen und kindlichen Sorgen einging. Sie setzte auf einen schnellen und fast vollständigen Shutdown, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und so vor allem die älteren Bewohner Dänemarks vor der Ansteckung zu schützen – was ihr auch gelang.
Infizierte: 11.182
Todeszahl: 561
Einwohnerzahl: ca. 5,7 Mio.
6. Norwegen: Premierministerin Erna Solberg nahm sich ebenfalls Zeit für die Ängste der Kinder und stellte sich ihren Fragen in einer Pressekonferenz. Auch hier wurde auf freiwilliges „Contact-Tracking“ und eine disziplinierte Bevölkerung gesetzt. Die Pandemie wurde nach zwei Monaten überwunden und es kann nun wieder zur Normalität übergehen.
Infizierte: 8.301
Todeszahl: 235
Einwohnerzahl: ca. 5,5 Mio.
7. Deutschland: Bundeskanzlerin Angela Merkel widmet sich der Corona-Krise ruhig, ehrlich und entschlossen. Sie arbeitet von Anfang an mit Wissenschaftlern, Virologen und Universitätskliniken zusammen, um mehr über die Hintergründe des Virus zu erfahren. Sie führte einen stufenweisen Lockdown durch, immer daran bedacht der Bevölkerung noch genug Freiräume zu lassen. Langsam werden die Maßnahmen wieder gelockert.
Infizierte: 178.748
Todeszahl: 8.195
Einwohnerzahl: ca. 81,5 Mio.
Stand 21.05.2020
Quelle: https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit/
Was haben all diese Frauen gemeinsam?
Frauen verzichten auf populistisches Getöse, sie agieren ehrlich, offen und empathisch heißt es in der Studie. Insgesamt seien sie umsichtiger; sie achten mehr auf Menschen und ihr Wohlergehen. Es lässt sich beobachten, dass sie ganzheitlicher mit der Krise umgehen und sich sowohl der Wirtschafts- wie Gesundheitskrise widmen.
Männer hingegen legen den Fokus eher auf Ökonomie, sie denken insgesamt risikoreicher.
Wie sieht das bei Männern aus?
Sehen Männer sich in ihrer Macht, Dominanz oder Autorität gefährdet, dann greifen bei ihnen direkt Verteidigungsmechanismen. Diese Mechanismen sind selten facettenreich und äußern sich meist durch Belächeln, Auslachen, Kleinreden, Verurteilen, Bloßstellen, Beleidigen, Beschimpfen und Diskriminieren anderer Männer, die nicht dem „Macho Ideal“ entsprechen – sowie natürlich auch in der Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen.
Wie verhält sich das Ganze, wenn Männer nun eine Krise durchmachen und dementsprechend insgesamt „geschwächt“ sind? Mit welchen Reaktionen müssen solche Männer rechnen? Wie agieren sie?
Eins steht fest: die genannten Verteidigungsmechanismen sind aufgezwungene Muster, ein „Status Quo“ einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft.
Toxische Maskulinität
Bezeichnet wird ein solches Verhalten auch als fragile oder toxische Maskulinität2. Dies darf nicht fehlinterpretiert werden als Unterstellung, dass jedes „männliche Verhalten“ per se negativ oder schädlich sei.
Per Definition versteht sich darunter eine „stereotype, repressive Vorstellung der männlichen Geschlechterrolle in einer Gesellschaft die vorgibt welche Emotionen und Verhaltensweisen Männer haben dürfen und welche nicht.“
Es könnte auch lauten: fragile Männlichkeit = schädliche Erwartungen und damit verbundene Erfahrung von Machtlosigkeit.
Welchen aufgezwungenen „Idealen“ sind Männer ausgesetzt?
- Männer dürfen keine Schwäche zeigen, nicht weinen oder starke Emotionen zeigen
- Konflikte müssen schnell und allein gelöst werden; ein Mann fragt nicht um Hilfe
- ein Mann hat keine Angst und keine Sorgen und wenn, dann behält er sie für sich
- Männer kooperieren nicht, sie sind auf Konkurrenz und Wettbewerb aus
- ein Mann will immer Sex und ist auch immer bereit dazu
- entspricht ein Mann nicht dem optischen Idealbild (groß, breitschultrig, muskulös), dann wird er nicht ernst genommen, ausgelacht und diskriminiert
Das Schlimme daran ist, dass Männer mit diesen Rollenbildern aufwachsen. Sie werden also schon als Kind zu „Härte“ erzogen.
Die Folgen von solchem Druck sind nicht zu unterschätzen: nicht selten führen sie zu Einsamkeit, sozialer Isolation, Depressionen, Arbeitssucht mit Burn-Out, Drogen- und Alkoholproblem, bis hin zu Suizid. Die Problematik ist tief verankert; aus Angst und Scham suchen sich diese stigmatisierten Männer meist keine psychologische Hilfe und bleiben sich selbst überlassen.
Toxische Weiblichkeit
Auch Frauen sind Geschlechterrollen ausgesetzt und natürlich gibt es auch toxische Weiblichkeit.
Diese richten Frauen aber nur bedingt gegen andere, sondern in erster Linie gegen sich selbst.
Frauen neigen zu Perfektion. Sie versuchen Dinge möglichst gut und gewissenhaft zu machen: ganz gleich ob Job, Haushalt, Familie, Erziehung oder Ernährung. Frauen geisseln sich selbst, in dem sie sich permanent mit anderen vergleichen und nach Makellosigkeit streben. Schuld daran sind vor allem von der Werbung festgesetzte „Schönheitsideale“.
Durch stereotype Darstellungen aus den Medien, wachsen Frauen mit dem Gefühl auf, einer Minderheit zu zugehören. Bereits kleine Mädchen lernen in Kinderfilmen oder Büchern, dass in einer Gruppe von Jungs nur ein cooles Mädchen dabei ist, das ganze führt sich irgendwann fort, wenn nur eine Frau auf hunderte Männer in Vorstandspositionen kommt. Aus Angst vor Verdrängung, kann es zu einem sogenannten „Girl Hate“ kommen – Mädchen fangen an, andere Mädchen oder Frauen zu beneiden, verachten und hassen, weil sie gern selbst an ihrer Stelle wären und/oder Angst haben von dieser anderen Frau verdrängt zu werden.
Auch hier spielen natürlich forcierte „Frauen-Ideale“ eine große Rolle. Typische Rollenbilder, die jede Frau kennt:
- Frauen sind schwächer, weicher und emotionaler als Männer
- Frauen sind romantisch, warmherzig und kümmern sich gern um andere
- Frauen haben „Muttergefühle“
- Frauen sind im Haushalt geschickter
- Frauen schminken sich, kleiden sich hübsch und sehen gut aus
- Frauen haben keine Ahnung von Technik und können kein Auto fahren
- Frauen haben weniger Lust auf Sex als Männer
- Frauen haben keinen Orientierungssinn
Es fällt auf, dass viele Eigenschaften wie ein Gegenpol zu „typisch männlichen“ Eigenschaften wirken und vermitteln den Eindruck, dass jede Frau ohne Mann nicht lebensfähig wäre.
Natürlich ist dies starkes Klischee-Denken und fern von jeglicher Realität. Dennoch spielt es für die Entwicklung von Frauen eine Rolle und beeinflusst ihre Verhaltensweisen, wenn auch vielleicht in einer harmloseren Variante als dies bei Männern der Fall ist.
Fazit
Eine Frage, die sich mir durch die Forbes-Studie unmittelbar aufdrängte: Was ist mit den anderen Regierungschefinnen? Warum gibt es nur sieben positive Beispiele?
Ich habe schnell festgestellt, dass dies einer größeren Recherche bedürfe, die den Rahmen eines einzelnen Beitrags sprengen würde. Auch stellte ich fest, dass es gar nicht so einfach ist an Informationen über bestimmte Länder heranzukommen.
Dennoch komme ich zu dem Schluss, dass es eine sehr einseitige Betrachtungsweise ist, zu behaupten, dass die „Krisenfestigkeit“ eines Landes sich an dem Geschlecht der Regierung festmachen ließe. Auch die Staatsform ist entscheidend: Politologen sind sich einig, dass Demokratien am besten gegen Krisen gewappnet seien, weil sie offen genug seien Autoritäten zu hinterfragen, ihre eigenen Fehler zuzugeben und den Kurs nachträglich anzupassen – bei autoritären Regimen sei dies nicht möglich. Natürlich kommt es auch auf das Handeln eines jeden Einzelnen an, aus welchem die Gesellschaft im Ganzen besteht. Ein gutes, stabiles Gesundheitssystem und die finanzielle Situation des Landes spielen ebenfalls eine sehr entscheidende Rolle für den Verlauf einer Pandemie in einem Land. Dennoch können „weibliche Stärken“ wie Feinfühligkeit, Empathie und gute Vorbereitung sicher einen positiven Teil dazu beitragen.
Gerade aufgrund der stereotypen Rollenbilder sind Frauen es gewohnt ihre Kompetenzen immer wieder unter Beweis zu stellen; sie entwickeln dadurch Planungsgeschick – und das kommt ihnen in einer Krisensituation natürlich zu Gute. Wenn wir Empathie, Entschlossenheit und klare Kommunikation aufgebauschter Kriegsrhetorik, Autorität und Polemik gegenüberstellen, dann ist es nicht verwunderlich, dass eine Angela Merkel (D) oder Erna Solberg (Norwegen) das Land besser durch die Krise führt als ein clownesker Donald Trump (USA) oder ein Jair Bolsonaro (Brasilien). Experten sind der Meinung, dass eine Frau mit solch „männlichen“ Charaktereigenschaften gar nicht in ein Amt gewählt werden würde, weil sie zu lächerlich wirken und nicht ernst genommen werden würde.3 Interessant, dass ihre sozial konstruierte Geschlechterrolle solche Eigenschaften nicht zulässt. Und noch interessanter, dass gerade „starke Männer“ in Krisensituationen so schwächeln.
Diverse Analysen der Finanzkrise 2008 (u.a. Studie der Credit Suisse) besagen, dass Länder und Banken mit weiblicher Führung besser mit der globalen Wirtschaftskrise umgegangen seien als die männlichen Vertreter.4 Es scheint sich auch hier zu bewähren, dass Frauen insgesamt vorsichtiger und umsichtiger agieren und weniger zu machtverliebter Eitelkeit neigen.
Doch wie immer bestätigen Ausnahmen die Regeln. Auch Kanada und Japan (mit männlicher Regierung) kommen sehr gut durch die Krise. Haben diese Männer mehr „weibliche Eigenschaften“? Oder sind sie vielleicht einfach weniger „Stereotyp Mann“?
Eine Frage, die es sicher wert wäre zu beleuchten!
Was denkt ihr darüber? Ich freue mich auf Meinungen und Kommentare zu dem Thema!
Quellen:
1 https://www.forbes.com/sites/avivahwittenbergcox/2020/04/13/what-do-countries-with-the-best-coronavirus-reponses-have-in-common-women-leaders/#5f1b81743dec
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Toxic_masculinity
3 https://www.morgenpost.de/politik/article229161418/Maenner-oder-Frauen-Wer-besser-durch-Krisen-fuehrt.html
Ergänzende Literatur:
https://www.zeit.de/kultur/2020-04/corona-pandemie-frauen-lockdown-soziologin-eva-illouz
https://pinkstinks.de/wenn-maennlichkeit-zerbrechlich-ist/
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/abschied-vom-machtigen-mann
https://www.schweizer-illustrierte.ch/body-health/mind/wir-sollten-auch-uber-toxische-weiblichkeit-reden
https://www.zeit.de/kultur/2020-05/toxische-weiblichkeit-patriarchat-solidaritaet-soziale-zwaenge
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/corona-krisenpolitik-vergleich-nationen-transparenz-weibliche-fuehrungskraft-demokratie