Positionierung – macht mal die Augen auf & positioniert euch für ’ne lebenswerte Gesellschaft

Marketing Positionierung

Weshalb mir das ganze Gelaber rund um Positionierung & „sein Unternehmen richtig aufstellen müssen“ so richtig auf den Keks geht!

In der letzten Zeit häufen sich die Beiträge in meinem LinkedIn Feed, in dem irgendwelche Besserwisser (die selbst keine Ahnung haben wie es sich anfühlt von den Corona-Auflagen geschäftlich betroffen zu sein) sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und mit Stolz verkünden, dass sie von der Corona-Krise nicht betroffen sind, WEIL sie sich direkt darauf eingestellt haben und ihre Positionierung überarbeitet haben.

Für die Normalos unter euch: Positionierung meint natürlich die „Markenpositionierung“. Diese bietet eine konkrete Aussage wofür die Marke steht und was der Kunde von der Marke erwarten kann. Je einfacher und konkreter dieses Leistungsversprechen ist und damit auch relevant für den Kunden, umso stärker ist die Glaubwürdigkeit und resultierend der Erfolg der Marke. (Quelle der Definition: Marketinginstitut)

Zurück zu den Blitzmerkern, die im März bereits zu Beginn des Lockdowns ihre Positionierung erfolgreich überarbeitet und heute „stinkreich“ sind 😉: herzlichen Glückwunsch, ihr gehört zum privilegierten Teil unserer Wohlstandsgesellschaft, denen es möglich war von jetzt auf gleich euer Unternehmen anders aufzustellen – meist geht damit eine Umstellung von „analog“ auf „digital“ einher oder es gibt gar keine wirkliche Umstellung, weil sich einfach nichts geändert hat und die Mühlen des Internets sich schön brav weiterdrehen. Was ist eigentlich, wenn mal Jemand den Stecker zieht?

So – und nun zu dem Faktor, der mir regelmäßig auf den Magen schlägt: alle Anderen, bei denen es nicht so „reibungslos“ funktioniert, die sich aktuell in Existenznot befinden, die in die Insolvenz getrieben werden – also Millionen Menschen da draußen – werden einfach mal als die Looser der Gesellschaft abgestempelt und mit einem lapidaren „dann sind sie halt als Unternehmer selber schuld“ abgetan.
Da krieg ich Puls.

Also, ihr Träumer, schauen wir uns mal einen solchen „Looser“ aus der Kulturbranche an.
Nehmen wir einfach mal mein Beispiel. Ich bin seit 10 Jahren darstellende Künstlerin – ergo: in der Veranstaltungsbranche. Im März wurde mir behördlich verordnet zuhause zu bleiben, weil ALLE Veranstaltungen bis auf Weiteres abgesagt wurden. Von heute auf morgen hab ich also 0 € verdient. Denn wenn ich als selbstständige Künstlerin/ Unternehmerin keine Aufträge habe, dann verdiene ich auch kein Geld. Für uns gibt es kein Kurzarbeitergeld! Kein Krankengeld! Kein Urlaubsgeld! Und auch kein Ausfallgeld. Easy.
Das interessiert aber meine Mieter, Versicherung, Krankenkasse etc. herzlich wenig – meine Ausgaben sind gleichbleibend – sprich: ich stehe früher oder später in der Kreide. Als Künstlerin mit einem absolut ungeregelten Einkommen eher früher als später.

Jaja… ich weiß, jetzt kommt wieder die Leier vom „fehlenden finanziellen Polster“: DOCH, ihr Banausen, ich hatte eins – aber wisst ihr was? Das reichte leider nicht um 9 Monate ohne Aufträge zu überbrücken!
Mich würde ja mal interessieren, wie es euch ergehen würde, wenn ihr von heut auf morgen die Kündigung auf dem Tisch habt – könnt ihr dann 9 Monate lang von euren Ersparnissen leben?!

Tja, dann muss ich wohl mal meine Positionierung überdenken. Ja, okay, schauen wir mal auf meine Positionierung.
10 Jahre lang habe ich daran gearbeitet, dass ich von meiner Bühnenkunst leben kann. Ich bespiele deutschlandweit Veranstaltungen, sorge für gute Stimmung und hab schon diverse Preise abgeräumt – meine Reputation ist super, meine Webseite hat eine gute Reichweite, auf den sozialen Medien bin ich aktiv. Meine Besonderheit: ich entertaine live! Meine Auftritte leben von Interaktion und direkter Nähe zum Publikum.
„Dann musst du halt auf digital umstellen und deine Shows streamen“ – Jau, klar, in meinem persönlichen TV Studio mit meiner super Aufnahmetechnik, die ich mir mal schnell im Saturn besorge. Ironie aus.

Nochmal: Ich bin Bühnenkünstlerin – ich habe sauteures Equipment, welches ich in den letzten 10 Jahren peu-à-peu angeschafft habe und mit welchem ich Live-Auftritte bespiele – ich besitze keine hochprofessionelle Kamera- und Tontechnik, geschweige denn die Lizenzen, um meine Shows ins Netz zu blasen und dabei auch noch den Auflagen zu entsprechen. Darüberhinaus bin ich Auftragskünstlerin – ohne eigene Spielstätte. Die Location wäre somit mein Wohnzimmer.

Leute, was denkt ihr eigentlich wie viel Bühnenperformance übrig bleibt, wenn ich die Bühne wegnehme, das Publikum wegnehme, die Scheinwerfer wegnehme, die komplette Live-Atmosphäre wegnehme und stattdessen in eine Kamera reinspiele, die keinerlei Feedback und direkte Interaktion gibt? Wie wirkt mein Auftritt, wenn ich in meinem Wohnzimmer stehe, während ich auf 2x2m mit einem schwarzen Bühnenstoff im Hintergrund versuche ein Unterhaltungserlebnis zu liefern? Was bleibt von meiner unverwechselbaren Liveperformance?

Und sprechen wir mal über Preise: Normalerweise kostet eine Liveshow ab 1000€ aufwärts – in der Nebensaison kann es locker sein, dass es bei einer Show im Monat bleibt, davon kann ich dann grad so meine Miete bezahlen, wenn ich nicht noch ein bisschen Puffer von den Vormonaten habe. Ja, so ist das bei uns Künstlern. Jeder Monat sieht anders aus. In den Monaten in denen es Scheiße läuft, leben wir von unseren Reserven. Ich weiß, das könnt ihr euch (als Angestellte) schwer vorstellen.

Würdet ihr für eine „virtuelle Show“ 1000€ zahlen? Wahrscheinlich nicht. Ich bin also gezwungen meine Preise massiv nach unten zu schrauben und das bei sinkender Nachfrage (denn die Wenigsten denken überhaupt an eine „virtuelle Show“ in diesen Zeiten).
Von Merchandise, CDs, Crowdfunding oder ähnlichen „Hilfsangeboten“ will ich gar nicht erst anfangen – davon kann kein Mensch leben. Das sind Peanuts und wenn wir Glück haben, können wir davon vielleicht einmal einkaufen gehen.

Und, was raten mir die ganzen „Marketing-Experten“ & „Positionierung-Profis“ nun? Tja, das ist leider das Problem. – Rein gar nichts! Ich bin also nach den kleinen, höhnischen „Selber Schuld“-Tiraden genauso schlau wie vorher. Am Ende soll ich dann vielleicht einfach die Branche wechseln, weil es in meiner nicht läuft. Wow, ein super Vorschlag!

Liebe Millionen Betroffenen, wechselt einfach alle die Branche und verschlaft bloß nicht den Trend der Digitalisierung! Denn die wird uns alle retten.

Und da sind wir schon beim springenden Punkt: es geht nicht um schlechte Positionierung und verschlafene Trends – es geht um ganze Branchen, die sich selbst überlassen werden und für die jede Hilfe zu spät kommt, weil die laufenden Kosten sie auffressen. Das ist eine einfache Rechnung: Einnahmen vs. Ausgaben.
Es geht um Menschen, deren jahrelang mühselig aufgebaute Existenzen zu Grunde gerichtet werden und das letzte, was diese Geschäftsmenschen hören wollen ist ein „du bist selbst schuld“, denn das ist einfach nicht wahr!

Hier kommt die traurige Wahrheit, die keiner ausspricht, weil die Marketingversprechen sich sonst in Luft auflösen:

Nicht jeder hat die Möglichkeiten sich von heute auf morgen neu aufzustellen und das sollte auch überhaupt nicht nötig sein – ein Beruf ist auch eine Berufung und jeder sollte das Recht haben seinen Beruf ausüben zu können und dafür gerecht entlohnt zu werden. Stattdessen leben wir in einer Mehrklassengesellschaft, in denen Arbeitnehmer privilegiert werden, mit Steuerhilfen aufgefangen werden, während wir Kulturschaffenden und viele, viele Andere zu den Verlierern gehören, die fast ohne jegliche Unterstützung von außen unsere Geschäfte privat finanzieren und uns dabei selbst ausbeuten. Ja, für manche mögen wir wirklich richtige Looser sein.
Für die Wirtschaft aber sind es Milliarden an Steuergeldern, die in den folgenden Jahren fehlen werden.

Daher sollten wir uns an dieser Stelle ernsthaft fragen: Geht es eigentlich um Positionierung anderer, oder eher um unsere eigene Positionierung und zwar im Sinne einer klaren Haltung für eine soziale, solidarische Gesellschaft, welche in Krisenzeiten zusammenhält und aktiv Lösungen sucht, um unsere Werte und damit nicht zuletzt auch unsere Kultur zu erhalten und zu stärken?

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