Was es bedeutet ein Künstler zu sein

Künstler leben nicht von der Kunst, sondern für die Kunst.“ Markus Lüpertz (dt. Maler)

Ich weiß nicht, mit wie vielen Menschen ich in meinem Leben schon über Kunst philosophiert habe, wie viele verschiedene Künstlerinnen und Künstler ich schon kennengelernt und gesprochen habe und wie oft mir dabei immer wieder eine Sache aufgefallen ist: Es gibt keinen „typischen Künstler“. Es gibt nicht die eine Sache, die darüber entscheidet, ob man ein Künstler ist oder nicht. Für Außenstehende mag die Sache klar sein: XY malt Bilder → Künstler:in. Aber so leicht ist das nicht. Jeder Künstler wird dir eine etwas andere Antwort darauf geben, was es für sie bedeutet ein Künstler zu sein.

Es gibt Künstler, welche sich (noch) nicht zutrauen sich selbst als Künstler zu bezeichnen, obwohl sie schon sehr lange Kunst kreieren. Es erfordert Mut, sich selbst, als Künstler anzuerkennen und hat viel mit Identifikation und Selbstakzeptanz zu tun.

Für Kunst musst du dich entscheiden 

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Kunst eine (Lebens-) Entscheidung ist. Es ist ein Weg, den man geht. Du bist nicht auf einmal Künstler:in, nur weil du gerne Kunst machst. Ab dem Moment an dem du beginnst aktiv Kunst zu machen, befindest du dich auf deiner künstlerischen Reise. Langsam und sukzessiv näherst du dich damit immer mehr deiner Identifikation als Künstler an. Manch einer braucht länger dafür als ein anderer. Die künstlerische Reise ist immer eine Reise zu sich selbst. Künstler zu sein ist ein stetiger Prozess, der über das Machen von Kunst hinaus geht. Es ist die Auseinandersetzung mit sich selbst, welche in Rückkopplung mit der eigenen Kunst passiert. Für Außenstehende ist das oft nicht wirklich nachvollziehbar.

Kurioserweise fällt diese unfassbar wichtige Tatsache in der externen Betrachtung von Kunst komplett unter den Tisch. Von außen ist es leicht, jemandem den Stempel „Künstler:in“ aufzudrücken oder darüber zu urteilen, ob dies oder jenes nun Kunst ist oder nur Trash.

Das wird der Sache aber in keinster Weise gerecht. Die meisten Menschen haben keine Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Künstler zu sein. Sie sehen Produkte in Form von künstlerischen Werken und beurteilen diese anhand der eigenen Befindlichkeiten und ästhetischen Maßstäbe. Dabei betrachten sie die Kunst immer aus ihrem eigenen Kontext heraus.

Auf Kunst musst du dich einlassen können

Aber Kunst ist nicht nur ein Endprodukt, sondern besteht in seiner Gänze aus verschiedenen Meta-Ebenen. Wenn du die Kunst eines Künstlers wirklich verstehen möchtest, dann musst du dich damit beschäftigen und hinter die Fassade blicken. Ein Kunstwerk ist häufig wie ein codiertes, geheimnisvolles Buch, in dem sich eine Geschichte verbirgt. Wenn du nur auf den Einband schaust, dann wirst du das Geheimnis nie lüften. Sicher gibt es vereinzelt Künstler, die dir ihr Geheimnis gleich ins Gesicht schreien, da fällt es leichter, die Geschichte zu verstehen. Doch die meisten Künstler verstecken ihre Geschichte in ihren Werken. Und nur wer genau hinschaut und sich darauf einlässt, der wird in der Lage sein, die Botschaft zu entschlüsseln.

Klar, in einer Welt in der profane, unterhaltsame 15 sek. Videos ohne jeglichen Anspruch die Norm sind, ist es natürlich anstrengend, wenn man sich in ein Bild, ein Musikstück oder eine Performance erst reindenken muss, die Künstlerbiografie lesen muss o. ä. Kunst ist eben keine seichte Unterhaltung und sollte auch nicht mit solcher verwechselt werden.

Manche Kunstwerke kosten Künstler Jahre an Schöpfungskraft. Hinter jedem Werk, was irgendwann einmal Aufmerksamkeit generiert, stehen meist hunderte unbekannte Werke, die dem vorangegangen sind. Und nicht zu vergessen die vielen, vielen Werke, die im vorne herein aussortiert und für nicht gut genug befunden wurden. Jeder Künstler ist auch Kurator und Kritiker seiner eigenen Arbeit. Und diese Fertigkeiten müssen über die Zeit trainiert und perfektioniert werden. Irgendwann siehst du einfach, ob du gut oder noch nicht so weit bist.

Wenn du Künstler bist, dann streifst du dir das Label nicht einfach drüber, wenn du dich an die Leinwand stellst, das Instrument in die Hand nimmst oder die Bühne betrittst. Wenn dem so ist, dann machst du allenfalls Kunst zu Unterhaltungszwecken oder hobbymäßig. Ein echter Künstler ist immer Künstler, auch wenn er gerade keine Kunst macht.

Denn jeder Augenblick des Tages kann künstlerisch betrachtet, verarbeitet und schlussendlich in die Kunst eingearbeitet werden. Wir erinnern uns: der Künstler erzählt über die Kunst seine Geschichte – und diese Geschichte stammt aus seinem Leben. Folglich ist die Kunst in gewisser Art und Weise immer irgendwie unterbewusst präsent. Deshalb nutze ich z.B. regelmäßig den Satz „ich denke künstlerisch“, ich kann gar nicht anders denken. Egal was ich in meinem Leben tue oder erlebe, ich betrachte es immer auch aus künstlerischer Perspektive. Die Kunst definiert mich und macht mich aus.

Es gibt Studien, die belegen, dass bei künstlerischen und kreativen Menschen die rechte Seite des Gehirns aktiver und stärker ausgeprägt ist. Es ist also empirisch messbar, dass Künstler „anders“ denken. (Mehr zu dem Thema „künstlerisches Denken“ kannst du hier lesen).

Die Welt künstlerisch zu betrachten kann auch schmerzhaft sein

Die Welt als Künstler zu erfahren, bringt aber nicht nur Vorteile mit sich. Künstler sind häufig empathische, nachdenkliche Menschen. Sie leiden unter strukturellen, gesellschaftlichen Standards. Eine hohe Reflexionsfähigkeit und Auffassungsgabe bringt mit sich, dass man überall Probleme und Krisenherde sieht, einfach weil sie einem auffallen. Es gibt viele Dinge, die Künstler frustrieren und fertigmachen. Die Kunst dient Künstlern häufig als Kommunikationskanal und als Vehikel für das Erfahrene.

Wenn Außenstehende das verstehen und die Kunst bei ihnen ankommt, dann ist das toll für den Künstler. Aber es gibt so viel Kunst, die keinerlei Beachtung findet und letztlich niemanden wirklich erreicht. Als Künstler fängst du grundsätzlich so an. Es ist die Norm, dass sich erstmal keiner für deine Kunst interessiert und du quasi ins Leere kommunizierst. Und es gibt kein Garant, dass sich dies irgendwann ändern wird. Vielleicht wirst du nie so erfolgreich werden, wie deine künstlerischen Vorbilder. Du bist also stetig mit deinem „Scheitern“ konfrontiert. Das kann eine ganz schöne Bewährungsprobe sein – vor allem, wenn du Ziele in deinem Leben hast und ein Lebensmodell anstrebt, in dem Erfolg eben eine Rolle spielt.

Das leidige Thema Geld

Jeder Künstler hat einmal bei 0 angefangen. Das muss man sich erstmal leisten können. Oder besser: man muss es wollen. Bist du bereit, deine Sicherheit aufzugeben, um dich auf den Weg des Künstlers zu begeben? Ja – existenzielle Ängste inklusive. Künstler zu sein bedeutet sich der Sache aufzuopfern und mit den Konsequenzen zu leben. Ich sehe in meinem Umfeld niemanden, der sich wirklich aufopfert.

Ja, viele wollen Kunst machen und langfristig von ihrer Kunst leben, aber sie sind nicht bereit dafür auf ihren Luxus und ihre Sicherheit zu verzichten. Insgesamt ist es also für die Meisten eine kurze Episode in die Welt des Künstlers. Denn relativ schnell wird den Meisten klar: Sich mit Kunst etwas aufzubauen, ist schwerer als sie je gedacht hätten.

Bin ich vollkommen bekloppt, dass ich mir das angetan habe?

Vielleicht. Klar, aus neoliberaler-kapitalistischer Sicht (und so funktioniert unsere Welt nun mal) bin ich ein Alien. Was ich vermisse, ist allerdings jegliche menschliche Betrachtungsweise, welche sich die fundamentale Frage stellt: wieso bin ich eigentlich auf dieser Welt und was will ich mit meiner Zeit hier anfangen? Wenn Geld indessen keinerlei Rolle spiele, wie würden dann die Antworten ausfallen?

Ich finde es grausam, dass Geld einfach alles zu korrumpieren scheint und die meisten Menschen auf der Welt hauptsächlich leben, um zu arbeiten und um Geld zu verdienen. Der technologische Fortschritt hat leider nicht – wie versprochen – dazu geführt, dass Menschen sich eine schöne Zeit machen können, während Maschinen den Rest übernehmen. Bedauerlicherweise leben wir nach wie vor in einem System, in dem wir unsere Existenz durch unsere Arbeit sichern müssen. Menschen müssen, wenn sie Geld verdienen möchten, einer Arbeitsbeschäftigung nachgehen. Ein Paradigmenwechsel und/oder ein alternatives System sind noch nicht in Sicht. Das BGE wäre zwar ein realistischer Lösungsansatz, aber die Gesellschaft ist träge und Veränderungen lassen diesbezüglich leider noch auf sich warten.

Die entscheidende Frage ist: was will ich?

Als selbstbestimmter Mensch habe ich aber dennoch die Wahl. Auch wenn die Wahloptionen vielleicht nicht die einfachsten und bequemsten sind. Dennoch muss ich mich fragen: Was will ich? Ich z.B. will mich immer weniger korrumpieren. Ich will nicht meine Freiheit und Zeit einbüßen, damit ich mir konsumorientierten Luxus leisten kann. Deshalb ziehe ich nach wie vor der „sicheren“ Angestelltenposition die „unsichere“, selbstständige Arbeit als Künstlerin vor. Meine Wahl mag zwar für die meisten da draußen die unbequemere sein, doch ich sehe darin meine Selbstbestimmung und eigenen Werte. Und die sind mir mehr wert.

Fazit: Künstler:innen sind bedeutsam für unsere Gesellschaft 

Künstlerin zu sein bedeutet für mich eben auch seine eigenen Entscheidungen zu treffen, zu hinterfragen und den Status Quo generell infrage zu stellen. Nur weil alle anderen den geringsten Weg des Widerstandes gehen, bedeutet es nicht, dass ich das auch tun muss. Künstler können inspirative Vorbilder, aber auch Störfaktoren und Gesellschaftskritiker sein. Sie tragen zur Schaffung und Erhaltung der kulturellen Identität der Gesellschaft bei, stellen Dinge infrage und stoßen nötige Veränderungen an. Auch wenn sich die Gesellschaft dessen häufig nicht klar ist, sie braucht die vielen verschiedenen Künstlerinnen und Künstler da draußen. Warum?

Weil die meisten Künstler ihre Werke nutzen, um auszudrücken, was sie über das Leben denken und um ein Statement über Gesellschaft und Kultur abzugeben. Auf diese Weise regen sie zum Diskurs an. Kunst kann neue Perspektiven eröffnen und Menschen dazu inspirieren, über die Welt und Gegebenheiten um sie herum nachzudenken. Zudem ist Kunst ein Kommunikationsmittel. Sie kann zur Verständigung dienen und Menschen unterschiedlicher Kulturen und Hintergründe zusammenbringen. Das fördert die Diversität in einem Land. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Künstler insgesamt dazu beitragen, die Gesellschaft zu bereichern und das Leben vieler Mitmenschen zu verbessern.

Auch wenn es schwer ist als Künstler und man vielen Herausforderungen gegenüber steht, so hat man eine wertvolle und sinnstiftende Aufgabe. Ein Land ohne eine vielfältige Kulturszene wäre nicht lebenswert. Oder?

Was denkst du darüber? Hinterlasse mir gern einen Kommentar, wenn du möchtest.

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