Per Definition ist Provokation ein „absichtlich herbeigeführter überraschender Normbruch, der den anderen in einen offenen Konflikt hineinziehen und zu einer Reaktion veranlassen soll, die ihn, zumal in den Augen Dritter, moralisch diskreditiert und entlarvt.“ (Rainer Paris, 1998)
Der Begriff geht auf das lateinische »provocare« zurück, was »herausfordern« oder »hervorrufen« bedeutet.
Der Sinn einer Provokation ist es dementsprechend immer, eine Verhaltensweise beim Gegenüber hervorzurufen. Provokation zielt also auf eine emotionale Reaktion ab (meist Ärger, Wut, Empörung, Verwunderung). Es dient vielen Provokateuren als Aufmerksamkeitstrigger.
Das Stilmittel der Provokation wird schon seit jeher von Künstlern, Werbung, Medien, Politikern & Stars strategisch verwendet. Aufmerksamkeit ist längst schon eine Währung geworden, mit der gehandelt wird – allen voran im Internet. Das Fernsehen und soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, YouTube etc. werden von ihren Nutzern als Werbeplattformen genutzt, die Nutzer sind gleichzeitig Werbetreibende, für die Reichweite (Aufmerksamkeit) zur neuen Währung wird.
Wer auffallen und aus der Masse herausstechen will, der muss sich etwas einfallen lassen. Nicht selten ist es etwas „Provokantes“ – aber wie viel Provokation ist okay und wann kippt das Ganze?
Es hilft, sich mal anzuschauen, wieso Menschen provozieren.
Z.B.
- um sich selbst groß zu machen, indem sie andere klein machen.
- um von eigenen Schwächen abzulenken.
- um anderen zu zeigen, dass sie die Stärksten und Überlegenen sind.
- weil sie eifersüchtig sind.
- um kurzfristige, individuelle Interessen durchzusetzen.
- weil ihnen langweilig ist.
- weil sie schon aggressiv sind und ihre Aggression ausleben wollen.
- um einen Fehler der Gegenseite in einer Auseinandersetzung herbeizuführen.
- um Aufmerksamkeit von anderen zu erhalten und sich von der Masse abzuheben.
Es dürfte sich von selbst erklären, dass für mich der letzte Punkt am interessantesten ist und ich mich für Provokation mit positiven Intentionen starkmache.
Es ist absolut legitim, sich der Provokation zu bedienen, wenn du auf etwas Wichtiges aufmerksam machen möchtest. Gute Kunst tut dies schon immer. Seien es Tabuthemen wie Rassismus, Sexismus oder Homophobie – die Kunst zeigt blinde Flecken auf, regt zur Diskussion an und macht Probleme sichtbar. Eine Provokation stellt immer eine Normverletzung dar. Es ist wichtig, Normen und Regeln auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu hinterfragen. Provokation kann ein gutes Stilmittel sein, um unsinnige, problematische Normen aufzudecken und den gesellschaftlichen Wertekanon zu regulieren. Veraltete Regeln und Normen können dadurch gesprengt werden und Platz für „Neues“ schaffen.
Doch wie verhält sich das im Kleinen? Wie können wir gezielt provozieren, um persönlich herauszustechen und (positiv) in Erinnerung zu bleiben?
Indem wir ungewohnte Sichtweisen vertreten und diese klar und ungefiltert äußern. Humor, Satire oder Ironie sind super, um eine Provokation zu veredeln. Indem wir Emotionen wecken, ohne dabei alle Grundregeln von Anstand und Höflichkeit zu vergessen. Eine Provokation ist immer ein schmaler Grat und kann auch zu extremen, unvorhersehbaren Reaktionen führen. Gerade in politischen Debatten ist dies regelmäßig zu beobachten. Die harmlose Folge sind oftmals „Shitstorms“. Doch es können auch verheerende Szenarien entstehen, wenn die Provokation beim Rezipienten anders aufgefasst wird und zu starken Wertekonflikten führt. Die den Islam kritisierenden Karikaturen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo z.B. führten dazu, dass 12 Karikaturisten, nach einem terroristischen Anschlag 2015, ihr Leben lassen mussten. Die beabsichtigte, satirische Provokation durch die islamkritischen Zeichnungen wurde unvorhergesehen zur religiösen Beleidigung der Rezipienten. Nicht selten stellt sich nach solchen Gegebenheiten die Frage, wie weit Kunst bzw. künstlerische Freiheit eigentlich gehen kann.
Auch ich habe mich mit der Frage beschäftigt und komme zu folgendem Schluss:
Kunst ist dazu da, Menschen aufzurütteln und ihnen die Augen zu öffnen. Kunst liefert Denkanstöße und macht Dinge sichtbar, die unter Normbedingungen im Verborgenen bleiben. Solange es sich um Kunstformen handelt und diese keine persönliche Diffamierung darstellen, gilt die künstlerische Freiheit. Die Grenzen zwischen den beiden Dingen sind allerdings fließend und sollten daher regelmäßig hinterfragt werden.
Wie sieht es auf den sozialen Medien mit Provokationen aus?
Wenn ich das Stilmittel der Provokation in den sozialen Medien wähle, um dadurch Aufmerksamkeit zu erregen, ist es wichtig, die Qualität dieser Aufmerksamkeit im Auge zu behalten: handelt es sich um wohlwollende oder eher um feindselige Aufmerksamkeit? Letztere kann mir auf Dauer schaden. Natürlich sind Negativschlagzeilen auch Schlagzeilen, aber auf Dauer wird der Effekt sich abnutzen.
Wichtig für den Erfolg bzw. Wohlwollen ist die Kenntnis des Provokateurs über das Wertesystem bzw. den Regelkanon des zu Provozierenden. Um den zu Provozierenden zu einer unbedachten Handlung zu bewegen, muss gegen diese Werte bzw. Regeln verstoßen werden. Es muss also ein Reiz gesetzt werden. Zusätzlich ist wichtig, wie hoch die Toleranzschwelle des zu Provozierenden ist.
Ein zusätzlich wichtiger Akteur im Spiel der Aufmerksamkeit durch Provokation ist das „Publikum“, auf den sozialen Medien also die stillen Mit-Leser. Provokation kann auch als Mittel genutzt werden, um sich seiner Fremd- und Selbstbilder zu vergewissern; eine Art Entlarvungsstrategie also. Der Provokateur kann sie nutzen, um jemanden dem Publikum so zu präsentieren, wie er – der Provokateur – ihn sieht. Keine seltene Strategie, wenn wir Gesellschaftskritik üben möchten.
Für mich ist Provokation ein tolles Werkzeug, wenn es darum geht wichtige Botschaften zu verbreiten und gesellschaftsrelevante Denkanstöße zu setzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nicht reicht etwas Wichtiges zusagen zu haben, sondern dass das Format und die Art und Weise WIE dies gesagt wird entscheidend ist, wie viel Resonanz und letztlich Aufmerksamkeit die Sache bekommt.
Anhand einer meiner Mentees und meiner Positionierung seiner Inhalte durch provokatives Content-Marketing (provokative, skurrile Videosequenzen der Reface-App von „ihm“ als Frau oder Kämpfer in Kombination mit einem satirischen Textstil) auf der Business-Plattform LinkedIn, ließ sich sehr schön beobachten, wie seine sehr kritischen Beiträge durch die provokative Aufmachung eine besonders hohe Aufmerksamkeit erregten, welches sich auch anhand der Reichweitenzahlen, Videoaufrufe (> 1000) und regen Interaktionen bestätigen ließ. Eine Gegenprobe (gleicher Inhalt und Textstil OHNE provokativen Video-Teaser) brachte nur einen Bruchteil der Reichweite und keinerlei Interaktionen.
Die Parallele zur Bühnenkunst ist hierbei auch wieder schön zu sehen: möchte ich mein Publikum mit meiner Darbietung begeistern, dann ist nicht nur entscheidend, dass ich eine gute Show abliefere, sondern dass ich diese Show auch extrem gut inszeniere und mir die Aufmerksamkeit, die ich in der Darbietung benötige, im Voraus erarbeite.
verwendete Quellen:
https://forum-streitkultur.de/provokation/
https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/5912/34.pdf?sequence=1
Franck, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit.
Dieser Artikel hat dir gefallen?
Das freut mich!
Wenn du mir ein kleines Dankeschön senden möchtest, dann unterstütze mich gern auf Ko-Fi. Grazie mille!